Wie „Tante Enso“ ein ganzes Dorf begeistert
Als der letzte Supermarkt in Bollendorf seine Tore schloss, machte sich die gesamte Ortsgemeinde für einen genossenschaftlich organisierten Neuanfang stark. Seither ist „Tante Enso“ eine gut frequentierte Einkaufsstätte und ein beliebter Treffpunkt.
Die damalige Ortsbürgermeisterin Silvia Hauer erinnert sich noch gut an den Tag als sie erfuhr, dass die Betreiber des Edeka-Marktes den Bollendorfer Standort schließen wollen: „Für unseren 1.800 Einwohner-Ort eine Katastrophe – auch wegen seiner touristischen Bedeutung“. Der Ort mit den höchsten Übernachtungszahlen im Eifelkreis lebt von seinen beiden Campingplätzen direkt am Grenzfluss Sauer sowie Gästen, die in Ferienwohnungen, Privatpensionen und der Jugendherberge übernachten und auf einen Nahversorger angewiesen sind. Auch Tagesgäste und Pendler sind – neben den Einheimischen – regelmäßige Kunden. Doch für den bestehenden Markt zeichnete sich keine Übernahme durch private Betreiber ab, der Markt schloss.
Auf Tante Emma folgt Tante Enso
Durch Zufall stieß die rührige Ortsbürgermeisterin über einen Zeitungsartikel auf das Tante-Enso-Konzept mit innovativen 24/7 Shoppingmöglichkeiten. Auf deren Homepage erfuhr sie, dass das Bremer Unternehmen Enso, gerade aus den Start-up Kinderschuhen herausgewachsen, auf Expansionskurs ist. Sie schickte gleich eine formlose Mail los und erhielt wenige Tage später eine interessierte Rückmeldung. „Es folgten einige nette Gespräche, Vor-Ort-Termine und die Suche nach einer geeigneten Immobilie, denn die bisherigen Enso-Filialen waren alle deutlich kleiner als unser ehemaliger Supermarkt“, erinnert sich Hauer. Am Ende machte dann doch der große Laden das Rennen. Nachdem die Standortentscheidung getroffen war, ging alles ganz schnell: Innerhalb einer Kampagnenzeit von nur vier Wochen mussten 300 Menschen im Ort überzeugt werden, Anteile zu zeichnen. Denn das Besondere an dem Tante-Enso-Geschäftskonzept: Das Unternehmen wird als Genossenschaft geführt, getragen von seinen Kundinnen und Kunden. In Bollendorf war das Interesse enorm, bis Ende der Kampagne zeichneten fast 400 Menschen eine Mitgliedschaft. Das war der Startschuss, es folgten Workshops mit den Mitgliedern, in denen gemeinsam Wünsche zu Öffnungszeiten, Produktprogramm oder lokalen Produzenten abgestimmt wurden. Parallel wurde der Laden eingerichtet, Mitarbeiter gesucht und geschult sowie die Neueröffnung vorbereitet. Silvia Hauer erinnert sich: „Die große Eröffnungsfeier wurde von zahlreichen Vereinen im Dorf mitgestaltet, es war wie ein großes Volksfest – die Stimmung war super. Die Leute freuten sich, endlich wieder einen Supermarkt im Ort zu haben.“
Das Konzept setzt auf Beteiligung
Wenn man sich mit der Bollendorfer Filialleiterin Linda Lehnertz unterhält, erfährt man, dass die Kunden bei Tante Enso sehr viel Mitbestimmung haben. „Im Markt hängt eine Wünsch-dir-was-Tafel, auf der man Produkte notieren kann, die man hier im Laden vermisst.“ Dadurch schaffen es dann neben bekannten Marken auch viele regionale Produkte in die Regale. Insgesamt umfasst das Sortiment am Standort über 4.000 Artikel – von Nudelsoßen über frisches Obst und Gemüse, Backwaren bis hin zu Schreibwaren. Alles, was man im Täglichen braucht – auch Tiernahrung. Und das zu ganz normalen Supermarktpreisen, wie Lehnertz versichert. Wem das noch nicht genügt, kann aus über 15.000 Artikeln im Online-Shop bestellen und sich die Bestellung in den Laden liefern lassen.
Die genossenschaftliche Mitgliedschaft bindet die Bürgerinnen und Bürger an „ihren“ Laden – und das lohnt sich auch finanziell: 2 bis 4% Preisnachlass (je nach erworbener Anteilszahl) gibt es als Cashback, zudem jährlich 5% Dividende auf die eingezahlte Einlage.
Nachhaltig und innovativ einkaufen auf dem Lande
Tante Enso revolutioniert das Einkaufen in ländlichen Gemeinden. Während sich die klassischen Versorger vielerorts zurückziehen, eröffnet Tante Enso zur Zeit mehrfach im Monat einen neuen Markt in Deutschland. „Zu den Pluspunkten zählt sicherlich auch, dass man bei uns rund um die Uhr und auch am Wochenende einkaufen kann“, so Regionalleiterin Regina Klein. Möglich macht das die Kundenkarte, mit der man stetig Zutritt zum Laden hat und an einer Selfcheckout-Kasse zahlt. Was nicht bedeutet, dass der persönliche Kontakt zu kurz kommt – im Gegenteil. Zu den personalbesetzten Zeiten ist immer eine der vier Teilzeitkräfte oder eine der Schüleraushilfen da. Und wie zu Tante Emmas Zeiten kennt man sich persönlich, schließlich kommen fast alle aus dem Ort. „Und man kann Eifeler Platt mit uns sprechen. Zeit für einen kleinen Plausch ist bei uns immer da“, so Lehnertz, die wie ihre Kolleginnen als junge Mutter die familienfreundlichen Arbeitsbedingungen sehr zu schätzen weiß.
Das junge Unternehmen setzt auch stark auf Nachhaltigkeit. „Foodpioniere“ nennen sie ihre besonders umweltfreundlichen Produktalternativen, meist aus kleinen Manufakturen, die man in allen Sortimenten findet und besonders im Regal hervorgehoben sind. Damit keine Lebensmittel weggeworfen werden müssen, arbeitet man mit Initiativen wie Too Good To Go oder Foodsharing zusammen bzw. bietet den Kunden „Überraschungspakete“ mit ausgelisteten Produkten oder Artikeln mit nur noch geringem Mindesthaltbarkeitsdatum.
Wieder einmal zeigt sich: die ländlichen Regionen sind Keimzellen für innovative Konzepte. In Bollendorf ist die erste Eifeler Tante-Enso-Filiale am Start – und es wird sicherlich nicht die letzte in der Region sein.