Wo die Zukunft eingeläutet wird
Die Glocken- und Kunstgießerei, die Hermann und Christoph Schmitt betreiben, ist uraltes Handwerk, wie man es noch aus dem Mittelalter kennt – und hat doch hoch moderne Seiten.
In der Glockenstraße von Brockscheid existiert ein seltenes Handwerk, das der Straße den Namen gab. Nur noch sieben Glockengießereien sind europaweit aktiv. Hermann Schmitt und sein Sohn Christoph pflegen ein Gewerbe, das bereits vor 5000 Jahren entstand und im Wesentlichen seit dem 16. Jahrhundert unverändert ist. Die Herstellung einer Glocke im Lehmformverfahren ist ein Prozess mit vielen aufeinander abgestimmten Arbeitsschritten. Er erfordert ebenso viel Fingerspitzengefühl wie Muskelkraft. Und es dauert, bis angefangen vom gezeichneten Profil der Glockenrippe und vom ziegelsteingemauerten Glockenkern über das Modellieren der so genannten falschen Glocke bis zum Guss der speziellen Kupfer-Zinn-Mischung und zum Ornament eine Glocke geworden ist, die genau den Vorgaben des Auftraggebers folgt. Geduld für die verschiedenen Trocknungs- und Erkaltungsprozesse ist ein Muss für die Glockengießer, hinzu kommen viel Erfahrung mit den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Materialien.
Präzision verbindet Tradition und Moderne
Rund um die Werkstatt hinter dem Schmitt’schen Haus am Ortsrand riecht es nach Holzfeuer. Vor der Werkstatt sind an einem hölzernen Gestänge matt schimmernde Glocken in allen erdenklichen Formen aufgehängt. „Hier kann ich den Kunden – zumeist Kirchengemeinden aus ganz Deutschland – erläutern, welche Formen welche Töne hervorbringen… manche weich, manche ‚schreiend‘“, erzählt Christoph Schmitt. Er ist von Hause aus studierter Luft- und Raumfahrtingenieur. Das traditionelle Handwerk war für ihn vor allem Lernen beim praktischen Tun über Jahre hinweg, denn die klassische Gesellen- und Meisterausbildung im Glockenguss ist längst so gut wie ausgestorben. Mit seiner ursprünglichen Fachhochschulausbildung verbindet den Beruf des Glockengießers, dass höchste Präzision, Mathematik und Fachwissen – etwa über Akustik und Schallabstrahlung – verlangt werden. Vor dem Entwurf jeder Glocke steht für Schmitt eine genaue Ortsbegehung dort, wo sie eines Tages läuten soll: „Welche Bebauung und welche Bepflanzung machen das Umfeld aus? Danach richtet sich nicht nur der Guss der Glocke selbst, sondern auch, wie wir den Glockenturm bauen.“ Alles muss perfekt aufeinander abgestimmt sein: die Klangfarbe der Glocke, der Rhythmus und die Schlagzahlen ihres Läutens sowie die Lautstärke. Nur dann ergibt alles zusammen ein harmonisches Ganzes.
Geläute mit moderner Steuerung
Jede Glocke ist ein Unikat und passt nur zu dieser einer Kirche mit diesem einen Geläut. Aber mit ihrem Guss ist es für das Team von Christoph Schmitt bei Weitem noch nicht getan. Wenn eine Kirchengemeinde eine neue Glocke bekommt, fangen die Arbeiten mit der Konstruktion und dem Einbau von Eisentreppen und Holzböden für den Aufstieg an. Auch die aus hölzernen Lamellen bestehenden Schallfenster eines Glockenturms müssen exakt bemessen und gestaltet werden, um eine möglichst gleichmäßige Beschallung zu erreichen. „Bei all dem ist moderne Arbeitssicherheit oberstes Gebot.“ Es werden Schaltuhren etwa mit Funksteuerung eingebaut, denn niemand läutet Glocken noch per Hand. „Im Grunde sind wir Allrounder, die schmieden, zimmern und Elektronik abstimmen“, sagt Schmitt, „es ist eine Art Instrumentenbau in groß.“ Um Kunden muss Schmitt jedenfalls nicht werben, obwohl er deutschlandweit oder manchmal sogar in Übersee arbeitet. „Das läuft alles per Empfehlung.“ Aussterben wird das alte Handwerk wohl nie.